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Urlaub ohne Fernsehen, ohne deutsche Zeitungen, ohne Depressionen. Gleich vier Bücher gelesen. Ein gutes und drei schlechte.

John Irving. Witwe für ein Jahr Hey, ich mag Romane, auf denen "Mängelexemplar" steht. Sie kündigen Probleme an, deren Abwesenheit dann überraschend und erfreulich ist. An dem Werk war nichts auszusetzen. Tadelloses Papier, schöne Bindung, reduziertes Cover. Die speckige Haptik eines mediumgeknickten Diogenes-Einbands in der Strandtasche. Ein Buch muss erzählen können, verdammt. Danke dafür. Die Geschichte des leicht duselig-einfältigen Eddie O`Hare, der während eines einzigen Ferienjobs eine ganze Familie prägt und sein Leben in eine obsessive Monokultur verwandelt, ist eine paradoxe Geschichte. Die Geschichte der Ruth Cole, die in ihrem ganzen Leben das Maß zwischen der biographie-inspirierten Schriftstellerei und der Idealisierung der Fantasterei sucht, ist eine intellektuelle Geschichte. Die Geschichte des Ted Cole, der Kinderbücher schreibt und hobbymäßig Frauen erniedrigt, ist eine erschütternde Geschichte. Als Bodensatz bleibt die Frage, ob man tatsächlich erleben muss, was Geschichte sein soll. Glitzernd wabernde Oberfläche, herrlich tiefgründig, aber nur wenn man will. Genau wie das Meer, an dem ich las.

Jakob Hein. Herr Jensen steigt aus Das ist doch das Buch - ja, ich weiß - das Hape Kerkeling bei Elke Heidenreich vorgestellt hat. Hätte er bei der Gelegenheit auch gleich dort vorlesen können. Oder schreiben. Ein ärgerliches Buch. Als die Stewardess gerade von dem Lämpchen an der Schwimmweste sprach, das bei Kontakt mit dem Wasser automatisch blinkt, hatte ich schon zwei Kapitelchen dieses belanglosen Bands durchgestanden. Als die Wenigflieger in meinem Umkreis nicht wussten, ob sie nach dem heftigen Aufprall auf Cagliaris Landepiste in die Hände klatschen sollten, hatte ich das Buch bereits ausgelesen und freute mich ausgelassen, dass ich im weiteren Verlauf des Urlaubs davon verschont bleiben sollte. "Herr Jensen" steigt nicht aus, er wird zum Psychopathen. Es ist nicht der mit leidenschaftlicher Logik propagierte Eskapismus, es ist das Abschalten jeglicher Vernunft bei dieser Figur, die nuancenlos und plump daher kommt. Der Roman ist eine fantasielose Reihung, eine Schilderung, die Auslassung von allem, was mir lieb ist. Jakob Hein begeht eine sträfliche Handlung an eine großartigen Idee. Romane dieser Art deprimieren mich, man möchte dann gern schreiben, so ermutigt fühlt man sich von soviel wohlwollend betrachteter Unfähigkeit.

Ralf Rothmann. Junges Licht Eine liebevolle Variation einer alten Idee. Ein Buch über das Erwachsenwerden. In diesem Buch ist nicht viel Spektakuläres, das Unfassbare geschieht unter einen muffigen Schicht aus Kleinbürgertum. Ein Junge erlebt die entscheidenden Tage des Lebens, auf dem Scheitelpunkt, genau in der Zeit im Leben, wenn die Sommer sich so lang anfühlen wie sonst nie zuvor und nie mehr. In der Öffentlichkeit regiert hinterrücks das Hörensagen, aber die sensible Wahrnehmung des jungen Gemüts spürt die Ungeheuerlichkeit wie Nadelspitzen. Jakob Hein kultiviert ein wunderbar feinfühliges und unaufregendes Erzählen. Zwischen dem vierten und dem sechsten Tag des Urlaubs gelesen, in der Gleichgültigkeit der Ferienmitte, wenn man dem Irrtum erliegen will, dass es immer so weiter gehen könne.

Audrey Niffenegger. Die Frau des Zeitreisenden Ach Gott ja, da war nichts mehr übrig zum Lesen, da blieb nur noch die ausgezehrte Reisebibliothek aus partnerschaftlichen Reisetaschen. Ich bitte um Aufmerksamkeit für einen noch zu formulierenden Aufruf zur Bildung einer Klappentext-Inquisition. "Das romantischste Buch des Jahres" (Brigitte) ist natürlich eine Liebesgeschichte, aber trotz einiger triefender Stilblüten kein reiner Handtaschenschmöker. Die alte Idee des Zeitreisens wird mit annehmbaren Varianten einigermaßen rauschfrei durchdacht. Auf dem Fundament dieses Konstrukts lässt sich trefflich Skurriles und Dramatisches herstellen und das ist auch ganz unterhaltsam gelungen. Einige Linien bleiben merkwürdig unangetastet und die meisten Figuren tun nichts zur Sache. Ein gebauter Roman, dem man in jeder Zeile anmerkt, das er nur im Setzkasten lebt. Aber immerhin besser als die Promotion-Maschinerie um ihn herum. Als ich es beiseite lege, habe ich noch drei bücherlose Tage, um mich zu erholen.

31. Juli 2006, 23:49



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